Christian Philipp Müller: Ein Bad für Florian
30. September 2023–Juni 2024
Am Domplatz in St. Pölten – dort, wo sich im 3. Jahrhundert n. Ch. in der römischen Stadt Aelium Cetium der Palast des Statthalters befand, genauer da, wo das Badehaus in diesem Palast platziert war, lässt Müller das Unsichtbare, Vergangene, einst Dagewesene wieder anwesend werden.
Christian Philipp Müller hat den Geist nicht nur des Domplatzes, sondern der ganzen Stadt untersucht und dabei ihren einstigen römischen Stadthalter, den Heiligen Florian, in den Fokus gerückt.
Die performative Skulptur Ein Bad für Florian besteht aus einer runden Bühne, die genau über dem einstigen Badehaus steht und in deren Mitte sich eine runde Ausnehmung in der Größe des Beckens befindet. Zwölf Elemente sind auf der Scheibe angeordnet wie auf dem Ziffernblatt einer Uhr. Acht davon am Außenrand laden mit Sitzflächen zum Verweilen und Betrachten ein, vier Obelisken am Innenrand markieren die Himmelsrichtungen und erinnern daran, dass St. Pölten als römische Stadt in einer Nord-Süd-Achse angelegt wurde. Alle genannten Elemente sind opak und aus einem modernen Baustoff hergestellt, während jener Obelisk, der den Norden markiert, aus Glas besteht und eine modern geschnitzte Figur des Heiligen Florian beherbergt.
Ein von Christian Philipp Müller orchestrierter Einweihungsfestzug, eine Parade, schafft am 30. September 2023 ein neues Ereignis für das kollektive historische Gedächtnis der Stadt. Tradition und Gegenwartskunst treffen aufeinander, Feuerwehren, Blaskapellen und Vereine aus der Region marschieren auf und feiern einvernehmlich und gemeinsam die reiche Geschichte und die Gegenwart. Eigens von Christian Philipp Müller designte Plakate kündigten die Parade am 30. September 2023 an. Am 5. Mai 2024 wird die Skulptur mit einer performativen Intervention des Künstlers erneut aktiviert.
Christian Philipp Müller
von Brigitte HuckAuf Einladung der Tangente St. Pölten gestaltet der international renommierte Künstler Christian Philipp Müller (1957 in Biel, Schweiz) eine skulpturale Intervention für den Domplatz: In seiner Arbeit Ein Bad für Florian geht er der St. Pöltner Stadtgeschichte auf den Grund, bringt verschüttete Elemente an die Oberfläche und verbindet Historisches mit Zeitgenössischem.
Müller ist der vielleicht mitreißendste Vertreter jener Künstlergeneration, die in den 1990er-Jahren die Vorgaben der Conceptual Art um neue Dimensionen erweiterte. Sein künstlerisches Verfahren beinhaltet wissenschaftliche Recherchemethoden, Analyse und politisch orientiertes, kritisches Denken. Aus seinen Expeditionen in Kulturgeschichte und Alltag, den sozialen Raum und die Gesellschaft zieht er verblüffende Schlüsse und bietet statt müder Antworten eine Fülle spannender Verweise – vom Gestern auf das Heute und retour.
Mit kanonischen Ausstellungen in legendären Galerien und den Museen der Welt, mit exemplarischen Beiträgen für internationale Kunstereignisse wie Biennalen oder die documenta, mit präzise auf private und öffentliche Sammlungen zugeschnittenen Arbeiten legt Müller ein Werk vor, das Zeiten sowie natürliche und abstrakte Räume verflicht. Mit eindrücklichen Inszenierungen schreibt er wesentliche Kapitel des Genres Kontextkunst, das seit zahllosen Semestern die kunsthistorischen Seminare beherrscht.
Wie aus dem Lehrbuch erscheint das Werk A Balancing Act, das der Künstler im Herzen Kassels, wo er Jahre später zum Rektor der Kunsthochschule berufen werden wird, für die zehnte Ausgabe der documenta 1997 ausführt. Er verknüpft Elemente wie historische Spuren, die Wahrnehmung des Publikums und seine Teilhabe am künstlerischen Prozess, das Begreifen von Skulptur als Handlungsform, die urbanen Gegebenheiten und ihre Präsentation in einer Ausstellung, trainiert mit einem Seiltänzer und schreitet auf einem knapp über dem Boden gespannten Seil die Strecke zwischen den legendären historischen Arbeiten von Joseph Beuys (7000 Eichen) und Walter de Maria (Der Vertikale Erdkilometer) am Friedrichsplatz in Kassel ab. Die Dokumentation des Ereignisses und ein klassisches Kunstobjekt – eine Balancierstange aus Eiche und Messing als Verweis auf Beuys respektive de Maria – werden im Museum Fridericianum gezeigt.
„Good vibes“ herrschen zwischen dem Kosmopoliten Christian Philipp Müller und Österreich. Mit dem Land verbinden ihn nicht nur einflussreiche Galerien, sondern auch freundschaftliche Kontakte mit Künstlern, Kuratoren, der Kulturszene und zahllosen Verbündeten von der Gärtnerin bis zum Feuerwehrmann. Sein Enthusiasmus ist ansteckend. Soziale Netzwerke entstehen, ohne die kaum eine seiner Arbeiten vorstellbar wäre. In Wien und Niederösterreich hat Müller außerordentliche Werke geschaffen, etwa seine Living Sculpture, Die Neue Welt im Park von Stift Melk (2006, Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich), den Drei-Schwestern-Korridor (2017, mumok, in Kooperation mit der evn sammlung), oder die Land-und-Leute-Porträts The Family of Austrians (1993, Galerie Metropol) und Eine Welt für sich (1999, Galerie Georg Kargl).
1993 vertritt Müller sein Gastland Österreich gemeinsam mit Gerwald Rockenschaub und der US-Amerikanerin Andrea Fraser auf der Biennale di Venezia. Ist es heute selbstverständlich, dass „staatsfremde“ Kunstschaffende die Länderpavillons in den Giardini bespielen, so war die Entscheidung des Kurators Peter Weibel damals so umstritten wie radikal und visionär.
Auch künstlerisch war der österreichische Pavillon Avantgarde. Bereits bei Grüne Grenze ist für Müller Performance Skulptur und die performative Skulptur ein Instrument der Handlung und kritischen Analyse. Er betritt die Nachbarländer Österreichs (meist zu Fuß) illegal über die grünen (unbewachten) Grenzen und macht daran Themen wie Nationalismus und Emigration fest. Die Bedeutung eines Kunstwerks, ergibt sich daraus, ist nicht ausschließlich an seine materielle Erscheinung gebunden, sondern lebt ebenso von sozialer Relevanz und der Spannung zwischen Form und Passion.
An Christian Philipp Müllers vielleicht spektakulärsten Arbeiten – es sind Prozessionen, Umzüge bzw. Paraden – können Auslöser, Ursachen und Motive für seine konzeptuelle Neubewertung von Skulptur, sein Verständnis von Ortsspezifik und Kommunikation abgelesen werden.
2008 findet er vor den Toren der verlassenen Manifattura Tabacchi (ehemals im Besitz des russischen BAT-Konzerns), einem der Austragungsorte der Manifesta 7 in Rovereto im Trentino, eine ungeöffnete Zigarettenpackung der Marke Apollo Soyuz, die in der Sowjetunion für Philipp Morris produziert worden war. Darauf abgebildet ist die berühmte Apollo-Sojus-Mission von 1975, als Wissenschaftler ein amerikanisches und ein sowjetisches Raumschiff in der Erdumlaufbahn aneinanderkoppelten und die Astronauten von einer Rakete in die andere umsteigen konnten. Müller recherchiert das damalige politisch-pazifistische Signal und die Geschichte der Tabakmanufaktur. Er findet heraus, dass der futuristische Künstler Fortunato Depero 1936 einen Umzugswagen (Carro allegorico) für die Tabakfabrik entworfen hatte, der die künstlerischen Ideale der Futuristen in Form eines Panzers und der Folklore des Landstrichs verband. In Analogie zu dieser Arbeit veranstaltet Müller in Carro Largo den Umzug „Space Rendezvous“ auf Lastautos, die Trachtenchöre und eine prächtige skulpturale Verkleinerung der aneinandergedockten Raketen an Bord haben und vom Bahnhof durch den Ort fahren. Die historische Stadt und ihre Fabrik, das legendäre Weltraum-Rendezvous und die Utopien von Kunst und Fortschritt arrangiert Müller zu einer so komplexen wie spielerischen Erzählung.
Eine der glanzvollsten Paraden Müllers ereignete sich 2010 in der Steiermark für eine Ausstellung des Grazer Universalmuseums Joanneum in dessen Dependance, dem Schloss Trautenfels. Burning Love (Lodenfüßler) dreht sich um das traditionelle Material des Lodens und dessen Fabrikation sowie um die ästhetische Form alpenländischer Trachtenmode. Dabei verbindet Müller steirische Kulturgeschichte mit der amerikanischen Land Art: Er entwirft aus einer 50 m langen Bahn aus weißem Loden einen überdimensionalen Wetterfleck für 20 Personen, die ihre Köpfe durch 20 runde Löcher im Material stecken. Zu Christi Himmelfahrt, einem bedeutenden Feiertag im katholischen Kirchenjahr, schickt Müller sein Team auf eine 42 km lange Wanderung vom Produktionsort des Lodens zur Ausstellung im Schloss Trautenfels. Ein weißer Running Fence bewegt sich durch die obersteirische Landschaft, überbrückt Hügel und Täler, hält an Gaststätten und Märkten inne. Ein Video zeigt den kollektiv zurückgelegten Weg einer biegsamen Formation im Stil der Minimal Art, ein Tableau Vivant, das sich der Landschaft anpasst, verschwindet und wieder auftaucht.
Domplatz St.Pölten
von Ronald RisyDer Domplatz ist mit rund 5.700 m² der zweitgrößte Platz in der St. Pöltner Innenstadt. Im Vorfeld seiner Neugestaltung fanden zwischen 2010 und 2019 im Denkmalschutzgesetz begründete archäologische Untersuchungen statt, ergänzt durch kleinflächige baubedingte Nachuntersuchungen in den Jahren 2020 bis 2023. Die Grabungen haben wichtige, teils sensationelle Erkenntnisse über die Epoche von der Römerzeit bis in die Frühe Neuzeit erbracht, die nicht nur für die St. Pöltner Stadtgeschichte, sondern für ganz Niederösterreich von Bedeutung sind und international Aufsehen erregen.
Im Bereich der heutigen Innenstadt gründete nach derzeitigem Wissensstand Kaiser Hadrian kurz nach 120 n. Chr. eine römische Stadt, das Municipium Aelium Cetium. Charakteristisch für eine römische Stadt war ihr regelmäßiger Straßenraster, der sich in St. Pölten zum Teil noch im heutigen Stadtplan widerspiegelt. Der heutige Domplatz liegt im östlichen Teil der damaligen römischen Stadt. Bei den Grabungen kamen Reste der römischen Bebauung und zweier innerstädtischer Straßenzüge aus dem 2. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. zu Tage. Gegen Ende des 3. Jahrhunderts wurden die Bauten geschleift und durch einen mehrteiligen Gebäudekomplex ersetzt. Im Norden des Domplatzes hat man einen Rundbau mit sehr individuellem Grundriss und den Außenmaßen von ca. 16,5 x 17 m zur Gänze freigelegt. Um einen zentralen Rundraum mit 5,6 m Durchmesser gruppieren sich im Norden drei mit Fußbodenheizung ausgestattete und mit Apsiden (halbrunden Nischen) versehene Räume; im Westen, Süden und Osten schließen unbeheizte, von einem weiteren konzentrischen Mauerring begrenzte Räume an.
Das Gebäude kann aufgrund der Lage, der beheizten, zum Teil mit Apsiden versehenen Räumlichkeiten, der Reste einer Kanalisation und des Ziegelsplitts im verwendeten Mörtel als Badegebäude bestimmt werden. Römische Badehäuser wiesen stets die gleiche Raumfolge auf: einen unbeheizten Kaltbaderaum, einen Raum mit milder Temperatur, einen Heißbaderaum und schließlich (aber nicht immer) ein Schwitzbad. Die Temperatur entsprach vermutlich jener in einem türkischen Hammam, und auch die Badeprozedur kann man sich ähnlich vorstellen.
Rund 9 m südöstlich des Badegebäudes stieß man bei den Grabungen auf Teile eines Rechtecksaales mit halbrundem (apsidalem) Abschluss an der Nordseite, an den im Westen weitere Räumlichkeiten angeschlossen waren. Der Saal besaß nach der ersten Bauphase eine innere Breite von 8,9 m; die Nord-Süd-Ausdehnung konnte nicht eruiert werden. In einer zweiten Bauphase wurde der Saal samt Apside massiv vergrößert und hatte nun eine lichte Weite von ca. 18 x 12 m. Solche Säle, auch aulae genannt, dienten in erster Linie der Repräsentation.
In der Südhälfte des Domplatzes wurden Reste eines Gebäudes freigelegt, das sich in Bauweise, Größe und Raumausstattung deutlich von zuvor in Aelium Cetium ausgegrabenen (Wohn-)Bauten unterschied und offenbar einen Trakt aus mindestens neun nebeneinanderliegenden Räumen bildete. Die waren flächendeckend mit Fußbodenheizung versehen; einer wies im Westen einen apsidialen Abschluss auf. Östlich dürfte sich eine in Leichtbauweise errichtete Halle befunden haben. Ein im Stadtmuseum verwahrtes Foto von 1914, das die Baugrube vor Errichtung der Liegenschaft Herrenplatz 14 zeigt, deutet darauf hin, dass sich im Westen ein ähnlicher Gebäudetrakt befunden haben könnte.
Alle beschriebenen Gebäude gehörten zu einer mindestens 5.300 m² großen und frühestens Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. errichteten Anlage. Individuell gestaltete Badegebäude und Aulen waren vor allem bei Großvillen, palastähnlichen Anlagen und Kaiserresidenzen zu finden. Der Baukomplex kann als Verwaltungsanlage bezeichnet werden, genauer als Sitz des zivilen Statthalters der Provinz Noricum ripense (nicht aber der Provinz Noricum, die im Zuge der Reichsreformen Kaiser Diokletians geteilt worden war). Der große Saal diente ihm ebenso wie das Badehaus, wo auch Gäste empfangen wurden, zur Repräsentation. Aelium Cetium erlebte ab dem späten 3. Jahrhundert eine Blütezeit, wie Um- uns Neubauten im Bereich des heutigen Rathausplatzes und in anderen Stadtteilen belegen. In jener Zeit soll übrigens der heilige Florian, ein pensionierter Kanzleivorstand, von Aelium Cetium nach Lauriacum (heute Enns) aufgebrochen sein, um dort christlichen Gefährten beizustehen, die unter Diokletian verfolgt wurden.
Ende des 5. Jahrhunderts scheint Aelium Cetium jedoch verlassen worden zu sein. Erst mit der Gründung eines Klosters nach 800 – der Legende nach durch die Brüder Adalbert und Ottokar – beginnt die Wiederbesiedlung der ehemaligen, nun in Ruinen stehenden Römerstadt. Die Grabungen haben nicht nur Reste des mittelalterlichen Klosters zum Vorschein gebracht, sondern auch eine im 9. Jahrhundert unter Verwendung der Mauern des Badehauses errichtete Rundkirche – sie ist eine der ältesten in Niederösterreich. Im selben Jahrhundert wurde hier ein Friedhof angelegt. Somit ist am Domplatz der Nachweis des Beginns der mittelalterlichen Stadtwerdung gelungen. Um 1100 wurde die Klosterkirche – die heutige Domkirche – durch einen Neubau ersetzt und für die Bevölkerung geöffnet. Im südlichen Bereich entstand eine zweigeschossige Kapelle, deren Untergeschoss als Beinhaus diente, das Obergeschoß indes als Taufkapelle. Beide Sakralbauten wurden im Laufe des Mittelalters ausgebaut.
Rund um die Gotteshäuser befand sich der im 9. Jahrhundert angelegte Stadtfriedhof, der ursprünglich das gesamte heutige Platzareal umfasste und teilweise noch unter die jetzige Bebauung reichte. Hier hat man die Gebeine von 22.380 Individuen ergraben, dokumentiert und anthropologisch untersucht. Damit besitzt St. Pölten ein Alleinstellungsmerkmal in Europa, wenn nicht sogar weltweit, und ein für die Forschung vieler Disziplinen unschätzbares Bioarchiv.
Zwischen 1690 und 1692 wurde die Pfarrkirche abgerissen, 1779 der Friedhof und 1784 die zweigeschossige Kapelle aufgelassen. So entstand aus dem ursprünglichen Kirchenzentrum ein Platz, der im Laufe des 19. Jahrhunderts eingeebnet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Markt vom Rathausplatz hierher verlegt.