TangenteSt.Pölten

30.4.–6.10.2024

Kuratorisches Statement

von Joanna Warsza20.03.23

Joanna Warsza, Kuratorin für Bildende Kunst, entwickelt für die Tangente eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Fluss. Von 30. April bis 6. Oktober sind die Arbeiten von dreißig Künstler*innen entlang der Gewässer St. Pöltens zu sehen. Lesen Sie hier das erste Statement der Kuratorin.

Credit: Jürgen Völkl
Credit: Jürgen Völkl

Die Existenz aller lebenden Organismen hängt vom Wasser ab. Wenn wir ein Glas Wasser trinken, fließt dieses Wasser durch uns zurück in die Welt. Mit jedem Schluck treten wir in einen artenübergreifenden Austausch mit verschiedenen Lebewesen, aber auch mit meteorologischen, kulturellen, ökologischen oder geophysikalischen Technologien. Unser Körper besteht zum größten Teil aus Wasser; es ist Lebensquelle und tödliches Element zugleich, bringt Rettung und Gefahr. Es kann auch eine Grenze markieren oder ein Zeichen für Verschmutzung sein, ein Träger von Zeit, Erinnerung und Wandel, von kolonialer Ausbeutung oder Indigenen Kämpfen. Wasser ist transnational und transkorporal. Die meisten menschlichen Siedlungen wurden entlang von Flüssen errichtet. Flüsse sind das Rückgrat, die Lunge, die Beine und der Kopf der urbanen Entwicklung. Sie durchschneiden unsichtbare und sichtbare Mauern und Zäune und dienen sowohl als Beförderungsmittel als auch als Barriere. So auch in St. Pölten, das einst zur Römerzeit an der Traisen gegründet wurde.

Den Ausgangspunkt der Ausstellung bildeten eine Reihe grundlegender Fragen an die Künstler*innen: Was bedeutet es für euch, eine Zusammenarbeit mit dem Fluss einzugehen? Wie kann Kunst in Wechselwirkung mit dem Fluss, seinen jahreszeitlichen Veränderungen, der Sonne, der Trockenheit, den Regenfällen, seinen künstlichen Formen und wechselnden Gestalten entstehen? Wie können wir unser Menschsein „im Fluss“ vermitteln, als Teil eines Hypersea aus unzähligen Verkörperungen von Wasser? Können wir Interventionen oder konzeptionelle Gesten entwerfen, die nicht nur von ökologischem Bewusstsein sprechen, sondern sich auf subtile Weise mit ihm verbinden: mit dem Fluss sprechen, im Fluss sitzen, mit dem Fluss fließen?

Credit: Lorena Moreno Vera
Credit: Lorena Moreno Vera

Die Route beginnt am Mühlbach bei der Künstler*inneninitiative Sonnenpark und folgt dann den Flussläufen der Stadt mit ihren vielen Kanälen von Süden nach Norden. Wir machen Halt am kleinen Wasserkraftwerk Hammerwerk, besuchen ein verlassenes Haus und den Hammerpark, bis wir die Traisen erreichen. Auf unserem Weg entlang der Uferpromenade des Regierungsviertels passieren wir viele Querungsbrücken. Dann biegen wir zur Mevlana-Moschee und ihrem Brunnen ab, sehen die Wassertürme der ehemaligen Glanzstoff-Werke, überqueren erneut den Mühlbach, werden an die unerzählten Geschichten des überfluteten Arbeitslagers an den Viehofner Seen erinnert und enden schließlich bei der Rettungsschwimmer*innenstation am Ratzersdorfer See.

Die aus nah und fern nach St. Pölten kommenden Künstler*innen prägen die Hauptthemen des Tangente-Festivals – Ökologie, Erinnerung und Demokratie – entscheidend mit. Die Projekte bestehen teils aus neuen Auftragsarbeiten, teils aus bereits existierenden Werken, die an die neuen Kontexte angepasst wurden: von Zeichnungen, die das Wasser anfertigt, über im Fluss schwimmende Instrumente bis hin zu Hörstücken über das, was sich unter der Wasseroberfläche befindet. Die eingeladenen Künstler*innen verbindet ein gemeinsames Interesse an Eingriffen in die Umwelt, an der Kraft einfacher Gesten, aber auch an umfassenderen Themen wie der Ausbeutung und Privatisierung planetarischer Ressourcen, den mythologischen oder spirituellen Deutungen des Fluiden, aquatischen Formen der Erinnerung oder den Veränderungen von Wetter und Klima. Der Kunstparcours ist sowohl für einheimische wie internationale Besucher*innen gedacht, die ihn auf einer Tour mit dem Fahrrad, zu Fuß und vielleicht sogar mit dem Kajak erkunden können, bietet aber auch den zufällig Vorbeikommenden interessante Entdeckungen.

Eine wichtige Inspirationsquelle der Ausstellung sind die Schriften der feministischen Wissenschaftlerin Astrida Neimanis über Hydrofeminismus und die Idee, dass wir Menschen über die undichte, durchlässige und transkorporale Ontologie des Wassers den planetarischen Hydrocommons angehören. Gemeinsam mit dem Fluss werden wir Kunst als Sprache nutzen, die nachvollziehbar macht, was es wirklich bedeutet, ein Glas Wasser zu trinken, mit Wasser zu denken und selbst Wasser zu sein, sowohl in St. Pölten als auch anderswo in der Welt.

Credit: Lorena Moreno Vera
Credit: Lorena Moreno Vera
Credit: Bine Berger
Credit: Bine Berger

Kunstparcours
Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Fluss

Datum: 30. April – 6. Oktober 2024
30 künstlerische Positionen, halb Auftragsarbeiten, halb existierende Werke

Kuratorin: Joanna Warsza
Kuratorische Assistenz: Lorena Moreno Vera
Produktionsleitung: Ala Glasner